Fußballberichterstattung: Warum unabhängige Blogger wichtiger werden

Der Bundesliga-Fußball macht gerade Pause, auch wenn die derzeit stattfindenden Testspiele langsam wieder Appetit machen (könnten). Doch es verschafft mir die Zeit, mich einem Thema zu nähern, das ich schon länger mit mir herumtrage: Es geht darum, dass ich mehr denn je den Eindruck gewinne, dass die Berichterstattung der klassischen Medien (also Rundfunk, Fernsehen und Zeitung/Zeitschrift) über den bezahlten Fußball grundlegenden journalistischen Ansprüchen nicht genügt.

Die Reaktionen in der Fußballwelt darauf sind sehr unterschiedlich: Eine sieht so aus, dass die Vereine zunehmend selbst bestimmen, was über sie berichtet wird. Der FC Bayern liefert hier großes Kino (ich meine das durchaus missbilligend). Aber auch andere Vereine, beispielsweise Borussia Dortmund und auch der HSV, bieten eigene Medienkanäle neben der vereinseigenen Website, um ihre Anhänger und – das ist relativ neu – die Medien mit Informationen zu versorgen.

Hier kommt Christian Helms, seines Zeichens Sportjournalist, ins Spiel. Er machte mich auf einen Text von Fabian Scheler aufmerksam,  der sich in der ZEIT mit genau diesem Phänomen aus der Perspektive von Sportjournalisten auseinandersetzte:

Natürlich ist es aus Sportjournalisten-Sicht ärgerlich, wenn (immer mehr) Clubs die Berichterstattung selbst in die Hand nehmen und die Journalisten quasi außen vor lassen und dies es dann  nur noch mit PR zu tun haben. Dem kann ich aber nur kurz und knapp entgegnen: selbst schuld! Wer journalistische Grundsätze vernachlässigt, wer einfachste Regeln nicht beachtet und fachliche Ahnungslosigkeit regelmäßig dokumentiert, muss sich nicht wundern, wenn die andere Seite irgendwann Konsequenzen zieht. Oder aber, dass andere Player im Mediengewerbe eine immer größere Rolle spielen, stetig größeres Publikum ziehen und einflussreicher werden – die Rede ist von Blogs, betrieben von Privatpersonen.

Sportjournalismus, der diesen Namen nicht wirklich verdient

Doch zunächst ein paar grundsätzliche Anmerkungen: Wie es um den deutschen Sportjournalismus steht, war schon häufig Gegenstand umfassender Betrachtungen, auch wissenschaftlicher Natur. So äußerte sich schon vor vier Jahren beispielsweise Herbert Fischer-Solms, einer der erfahrensten deutschen Sportjournalisten beim Deutschlandfunk, gegenüber dem Online-Portal „Newsroom“ zum Zustand seiner Zunft sehr deutlich: Der deutsche Sportjournalismus sei ziemlich erbärmlich und distanzlos gegenüber Sportlern und Funktionären. 2006 (!) schrieb Sebastian A. Reichert eine Diplom-Arbeit zum Thema „Distanz und Nähe im Sportjournalismus– Deutsche Sportjournalisten der regionalen Presse bei der Fußball-WM 2006: kritisch-distanzierte Beobachter oder jubelnd-privilegierte Fans?“ Sybille Frütel betitelte ihre Dissertation (2005) so: „Toy-Department for Men – Eine empirische Studie zum internationalen Sportjournalismus“.

Auch im Deutschen Journalisten-Verband beschäftigt man sich mit der Problematik im Sport:

Dass Kritik auch im Sportressort geäußert und Situationen hinterfragt werden, dafür plädiert der Deutsche Journalisten-Verband. Hendrik Zörner [Pressesprecher des DJV, d. Verf.] sagt zu NEWSROOM: „Vor allem die Sportberichterstattung braucht Journalisten, die kritisch sind, die das Sportgeschehen hinterfragen. Sonst droht uns eine Eins-zu-null-Berichterstattung, die nur noch Aktualität kennt und das Wort Hintergrund nicht mehr buchstabieren kann. Es muss im Sport Journalisten geben, die gegen den Mainstream schreiben und senden. Sonst ist es um die journalistische Vielfalt schlecht bestellt.“

Die Gemengelage wird besonders im Profi-Fußball deutlich, und das hat aus meiner Sicht keiner so treffend beschrieben wie Hans Leyendecker, Redakteur bei der SZ. In seinem Beitrag „Klebrige Nähe“ für ein Buch, das Jens Weinreich herausgegeben hat (1), analysiert er wenig schmeichelhaft für die Sport-Journaille: Man kenne sich, duze sich, schätze sich und brauche sich. Wer kritisch frage, könne rasch zum Außenseiter werden. Wer kritisch schreibe, gelte manchem als Nestbeschmutzer; denn angeblich säßen doch alle in einem Boot. Er schreibt:

Viele Journalisten bewegen sich am liebsten auf Augenhöhe mit den Mächtigen. Von Kurt Tucholsky, dem großen deutschen Journalisten, stammt der schöne Satz, der deutsche Journalist brauche erst gar nicht mit Geld bestochen zu werden: ‚Er ist stolz, eingeladen zu sein, er ist stoz, wie eine Macht behandelt zu werden.‘

Genau darin liegt das Problem. Viele Berichterstatter sonnen sich in ihrem Dasein als solcher und vergessen darüber offenbar ihre eigentliche Aufgabe. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sie diese gänzlich anders definieren, als es beispielsweise Politikjournalisten tun. In einem sehr lesenswerten Interview, das Leyendecker der Zeitschrift „11Freunde“ gab, macht Leyendecker das Elend des Sportjournalismus  speziell beim Fußball an zwei Dingen fest: Zum einen seien diese Berichterstatter Fans und benähmen sich auch so – sie meinten, wenn sie etwas Kritisches schrieben, schadete das der Mannschaft. Zum anderen kämen Sportreporter meist aus dem Sport, sie hätten keine grundlegende journalistische Ausbildung inklusive Kursen dazu, was es heißt, investigativ zu sein bzw. was es bedeutet, zu recherchieren.

Hofberichterstattung versus Schlammschlacht

Dass all das zu einem Wandel in der Medienwelt führt, zeigt sich beispielhaft beim HSV. Der Verein sieht sich aufgrund des Standorts (zweitgrößte Stadt Deutschlands) einer großen Schar von Medienvertretern ausgesetzt. Einige von ihnen, allen voran die unvermeidliche Bild, das Hamburger Abendblatt und die Hamburger Morgenpost, haben täglich mehrere Seiten Sport zu füllen, unabhängig davon, ob es etwas zu berichten gibt oder nicht. Das gilt auch für den „HSV-Blog“ vom Abendblatt. Jeden Tag einen Blogpost zum HSV zu bringen – das ist schon ein recht hoher Anspruch, an dem der Verlag (erst Springer, dann Funke Mediengruppe) nach meinem Verständnis letztlich kläglich gescheitert ist. Denn für die Macher scheint offensichtlich der oben von Tucholsky zitierte Satz zu gelten: Dieter Matz wurde vor Jahren vom HSV gefragt, ob er nicht einen Trainer wüsste; er war ganz nahe dran und spielte den Pressesprecher, als die Blogleser von einem Transfer schon eher wussten, bevor es offiziell wurde (Ruud van Nistelrooy): Er bat darum, die Füße still zu halten. Auf der anderen Seite entwickelten es die Schreiber dort zu einer wahren Kunstform, den Verein abwechselnd zu hofieren und durch den Dreck zu ziehen. Matz sagte nach der Entlassung von Bruno Labbadia im Jahr 2010, dass dies der schlechteste Trainer beim HSV überhaupt gewesen sei. Dass der HSV mit Labbadia eine der besten Hinrunden spielte (vier Spieltage auf Platz 1, den FC Bayern mit 1-0 geschlagen!), hatte er da wohl vergessen. Dieser „zu lasch trainierende Labbadia“ war aber dann in dieser Saison dazu in der Lage, mit einer in keiner Weise vergleichbaren Mannschaft die Gladbacher 3-0 zu besiegen, was sich bei Matz dann so las:

Das war Fußball zum Verlieben, HSV! Gegen den Tabellenletzten Borussia Mönchengladbach gab es für die Mannschaft von Trainer Bruno Labbadia einen nie für möglich gehaltenen 3:0-Auswärtssieg. Grandios an diesem Erfolg: Der HSV trat als Einheit auf, es kämpfte ein jeder, es kämpfte auch ein jeder für den Nebenmann, jeder opferte sich für die Truppe auf.

Wie ernst kann das ein Leser noch nehmen? Doch im Grunde lässt sich Ähnliches auch über andere Medien sagen. Das erwähnte Spiel in dieser Saison gegen Gladbach fiel bei den meisten einfach mal unter den Tisch, denn: Favre schmiss hin. Sky90 machte das zum Hauptthema, keiner redete über das Spiel. Auch meine Lieblingszeitung, die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, ignorierte das Spiel komplett.

Wie sieht also die Perspektive aus? Ich behaupte: Unabhängige Blogs werden immer wichtiger. Und zwar aus folgenden Gründen:

  • Sie müssen nicht zwingend jeden Tag über einen Verein berichten.
  • Sie sind dem Gegenstand ihrer Berichterstattung nicht so nahe, dass man ihnen Distanzlosigkeit vorwerfen könnte – immer unter der Voraussetzung, dass sie das auch so wollen.
  • Sie haben keine Chefs, deren Anforderungen sie in irgendeiner Form erfüllen müssen, oder die in ihren Texten „herumredigieren“.
  • Sie sind niemandem verpflichtet, haben (in der Regel) keine politischen Interessen zu berücksichtigen.

Dass sie sich Zeit nehmen für Recherchen, dass sie über den Tellerrand schauen, dass sie offen sind für jegliche Art von Informationen (ob es dem Fan nun gefallen mag oder nicht), dass sie aufmerksam beobachten, dass sie eine durchaus wohlwollende, aber eben doch kritische Grundhaltung annehmen, sind an sich keine Blogger-exklusiven Merkmale. Doch sie scheinen inzwischen zu solchen geworden zu sein. Und das begründet aus meiner Sicht auch ihren zunehmenden Einfluss. Das berühmteste Beispiel ist wohl Jens Weinreich: Sein privates Blog genießt seit Jahren einen guten Ruf; die Leserschaft ist so loyal, dass sie ihm Rechtsstreite mit Fußballfunktionären mitfinanzierte. Seine kritische Grundhaltung ist extrem unbequem, was ihm beim Deutschlandfunk nicht nur zum Vorteil gereichte, aber er war und ist da hartnäckig. Und das zu Recht, wie man dem Skandal rund um DFB sehen konnte.

Doch auch im Kleinen wächst etwas heran. Wenn es um den HSV geht, sehe ich hier den HSV Arena Blog, der streitbar daherkommt und aufgrund des Schreibstils des Bloggers sehr unterschiedlich bewertet wird, aber: Mehrere tausend Leser täglich und Informationen, die die klassischen Medien nicht (mehr) bieten, haben dieses Blog zu einer festen Größe werden lassen. Und: Die Verantwortlichen beim HSV lesen dort mit. Immer. Ähnliches lässt sich über die Kolumne von Daniel Jovanov bei goal.com sagen. Manche Informationen zum Verein sind dort verfiziert als erstes zu lesen – vor (!) all den anderen klassischen Medien.

Ich bedaure durchaus, dass der Sportjournalismus, wie ich ihn mir vorstelle (handwerklich sauber, kritisch, distanziert, einordnend, nutzwertig für den Leser), offensichtlich bei und mit den „alten“ Medien nicht zu haben ist. Auf der anderen Seite beobachte ich mit großem Interesse, dass sich im Netz etwas entwickelt. Blogger können, wenn sie es denn wollen, eine weitaus wichtigere Rolle spielen, als sie von sich vielleicht denken. Ich halte sie für fähig, den Lesern mehr zu bieten, als die PR-Abteilungen der Vereine und die Redaktionen des Boulevards.

Ein Glaubwürdigkeitsproblem haben die Über-den-Fußball-Schreiber in den „alten Medien“ schon jetzt. Doch wenn die Vereine die eingangs angesprochene Linie konsequent weiterverfolgen, wenn die werbetreibende Industrie dies entsprechend bewertet und ihre Budgets nach und nach umschichtet, um ihre Zielgruppe zu erreichen, dann stellt sich diese Frage: Wofür brauchen wir überhaupt noch Sportjournalisten?

(1) Quelle: Hans Leyendecker, Klebrige Nähe in: Weinreich J (Hrsg): Korruption im Sport, Forum Verlag Leipzig, 2006, S. 228-240 – Der vollständige Artikel kann (sollte!) hier nachgelesen werden.

Ein Kommentar Gib deinen ab

  1. Hallo,

    da Sie meinen Text zitieren, möchte ich Ihnen ein paar (bunt gemischte) Gedanken da lassen:
    Sie schreiben und klagen in einem Rutsch die „Sport-Medien“ an. Ernst gefragt: Wer ist das? Die Bild und ich? Das stimmt und stimmt nicht. Die Sportschau, Jens Weinreich und die MoPo? Auch das sind Sportjournalisten, interpretieren ihren Job aber alle etwas anders und arbeiten dementsprechend anders. Die MoPo muss jeden Tag HSV-Seiten füllen, ich nicht. Jens Weinreich hat sich auf Sportpolitik spezialisiert und ist darin ein Experte, Zeit Online schreibt vor allem über die gesellschaftliche Relevanz des Sports, der Spiegel gräbt bis er etwas findet, die Bild profitiert vom Hunger ihrer Leser nach Privatem und hat dementsprechend ihre ReporterInnen ganz (zu) nah an den Vereinen, die Sportschau fasst Spiele zusammen, die Ruhr Nachrichten machen den BVB und Schalke, freie Journalisten suchen Themen, die eine Redaktion nicht bedient, die Vereine kommunizieren ihre eigenen Interessen und Trainingsvideos, Fanblogger schreiben über ihren Verein und und und. Jeder macht das seine und bedient damit ein gewisses Publikum mit einer gewissen Erwartung. Ihre Kritik aber ist so allgemein über den Kamm scherend und greift alle erwähnten gleichermaßen an, dass Sie zwangsläufig nicht zutreffen kann.

    Auch die Blogger bedienen „ihr“ Publikum. Ich mag es, dass sich imemr mehr (kritische) Sportblogs bilden, auch ich lese sie gerne (Und bin selbst einer bei Fokus Fußball). So wie Sie allerdings die Blogger entgegen den Journalisten zu den Hütern des Journalismus stilisieren, widerspereche ich Ihnen doch wehement. Journalisten sollten moralischen, ethischen und handwerklichen Tugenden folgen und machen das auch – soweit ich es beurteilen kann – in der Mehrzahl. Wenn auch der Sportjournalismus damit öfter Probleme hat als andere Ressorts.
    Es werden Fehler gemacht und ja – diese Branche hat in einem besonderem Maße Probleme, sich das auch wirklich so einzugestehen. Dass aber „Sportjournalismus, wie Sie ihn sich vorstellen (handwerklich sauber, kritisch, distanziert, einordnend, nutzwertig für den Leser), offensichtlich bei und mit den “alten” Medien nicht zu haben ist“, stimmt einfach nicht.

    Ihr zentrales Argument „selber schuld“ lasse ich nicht gelten, da auch Vereine damit leben müssen, dass über sie in einem zunemhenden Maße berichtet wird. Das ist eine ihre Haupteinnahmequellen. Ich erkenne in ihrem Blogeintrag auch nicht, worin „Selbst Schuld!“ genau liegen soll. Die wissenschaftlichen Abhandlungen und darin beschriebenen Probleme sind mir bekannt. Gerade das Jahr 2015 hat doch mit der DFB-Affäre, dem Fifa-Skandal, und dem IAAF-Skandal gezeigt, zu was der Sportjournalismus in der Lage ist. Was ihren HSV anbelangt, mag ich kein Urteil fällen, da ich weder über den HSV geschrieben habe / schreibe noch in Hamburg wohne.

    Ich gebe Ihnen Recht, dass Blogger auch zunehmend journalistische Aufgaben übernehmen und Mehrwert bringen. Allerdings unterscheiden Sie und die anderen in einem zentralen Punkt von Journalisten. Sie können sich nicht auf ihre Unabhängigkeit berufen, oder? (Ich stelle es deswegen als Frage, weil jeder sein Fandasein anders interpretiert und deshalb auch andere Zugänge zu seinem Verein hat. Ein Journalist ist im Idealfall kein Fan. So interpretiere ich meine Rolle). Ein Fan kann nicht unabhängig von seinem Verein sein, ein Journalist (nicht einer von denen, die Thomas Kistner als „diejenigen, die es über die Absprerrung egschafft haben“ nennt) schon. Stellen Sie sich die Frage: Würden Sie wirklich alles über den HSV berichten, auch wenn es um das überleben des Vereins (Insolvenz, Schulden, Betrug) ginge? Wenn ja, wunderbar, dann sind auch Sie eine Bereicherung für die Sportberichtertstattung. Wenn nein, weil es ja dann doch irgendwie ihr Verein und ihre Leidenschaft ist, nunja.

    Ein durchschnittlicher Bundesliga-Verein ist mittlerweile ein (mittel)großes Unternehmen, das zwangsläufig Interessengeleitet agiert. Nur noch vorgekaute und von dort bestimmte Informationen? Das kann nicht zu ihrem, meinem und deren Wohle sein. In einer Branche, in der so viel Geld zirkuliert und wo Beziehungen und Freundschaften das allerwichtigste sind, führt das zwangsläufig zu Machtmissbrauch und Korruption. Das zeigt sich auch am größten englischen Fanverband FSF, der über die Informationspolitik der britischen Klubs sagt: „Oft sind die Medien der einzige Weg herauszufinden, was wirklich im Club vor sich geht.“

    Ich hoffe, dass ich Ihnen meine Gedanken etwas näher bringen konnte. Viele Grüße, Fabian Scheler.

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