Manchmal finde ich das Erwachsensein etwas anstrengend. Denn: Das bedeutet für mich nicht immer, aber doch oft: Nachdenken vor dem Reden, Differenzieren, Relativieren, tief Luft holen, noch einmal nachfragen, ob ich es denn richtig gehört und verstanden habe. Im Zweifel dann nur sagen: Okay. Immer öfter die Klappe halten. Das alles ist in Ordnung so und irgendwie ja auch angenehmer für die Mitmenschen. Doch manchmal packt’s mich. Dann möchte ich nicht erwachsen sein, sondern etwas Mist nennen, wenn ich es so empfinde. Dann möchte ich nicht lange nachdenken müssen, sondern spontan und aus dem Bauch heraus meine Meinung sagen. Dann möchte ich nicht alle möglichen Umstände und Situationen abwägen oder berücksichtigen, sondern schlechte Leistungen als „schlechte Leistungen“ bezeichnen. Wenn ich sauer bin, möchte ich das rauslassen können.
Die Auslöser
Beispiel 1: Ich habe an diesem Wochenende Biathlon geschaut. Weltcup-Rennen bei den Herren und den Damen. Mir ist dabei aufgefallen, wie milde die Reporter in der Einschätzung der Leistungen der deutschen Athleten (andere bewerten sie ja seltener) waren. Immer ist alles großartig (ein achter Platz), wird gratuliert (tolles Schießergebnis, weil nur ein Nachlader gebraucht wurde) und über den Klee gelobt. Dass einige der Deutschen mit ihren reinen Laufleistungen der echten Weltspitze hinterherliefen, blieb unerwähnt. Dabei sind die Athleten durchaus selbstkritisch: Maren Hammerschmidt hat ihre eigene Abfahrts-Laufleistung als absolut verbesserungswürdig bezeichnet. Was spricht dagegen, eine nicht so gute Leistung einfach mal „nicht gut“ zu nennen? Es ist eben nicht so, dass andere immer einfach besser sind, sondern man selbst eben auch mal nicht gut – so what?! Dieses ewige In-den-Himmel-Heben von sportlichen Leistungen, für die es keine Lorbeeren gibt, geht mir auf den Keks.*
Beispiel 2: Der HSV hat die jüngsten beiden Bundesliga-Spiele für sich entschieden – die ersten beiden Siege der Bundesliga-Saison. Viele sagen: Jetzt geht es aufwärts, nun wird alles besser. Der Trapper bescheinigte dem HSV nach dem Spiel gegen Darmstadt phasenweise „erstligareifen Fußball“, was uns in eine längere schriftliche Diskussion führte. Ich fand das Spiel gegen Darmstadt eben nicht erstligareif, sondern drückte es so aus:
Es ging mir dabei nicht darum, dieses Gekicke zu relativieren oder das Spiel in ein großes Ganzes einzuordnen, sondern einfach um mein Gefühl in dieser Situation: Ich fand das Spiel einfach schlecht. Steht auch genau so dort. Ohne Anspruch auf analytisches Hintergrundwissen oder objektive Sicht auf die Dinge. Jetzt kam der Sieg gegen Augsburg hinterher, und da habe ich dann auch eine Steigerung erkannt. Und so finde ich mich denn auch in dieser Aussage aus Trappers aktuellem Blog wieder:
Die Grundlagen für tatsächliche Wettbewerbsfähigkeit, und dies bezeichne ich eben als „erstligareif“, sind endlich wieder erkennbar.
Mein Punkt ist: Ich möchte sagen dürfen, dass ich etwas doof finde, ohne dahingehend belehrt zu werden, dass das alles auch nicht weiterhülfe und ich doch den großen Zusammenhang sehen müsste. Ich möchte aus der Situation heraus kritisieren dürfen, was aus meiner Sicht kritikwürdig ist (und dass es da Dinge gibt, steht ja außer Zweifel), ohne mich dafür entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen. Selbstverständlich gehören auch sportliche Leistungen in einen größeren Kontext eingeordnet, aber dies schließt die situative und häufig durchaus angebrachte Kritik doch nicht aus.
Das Anliegen
Direkte Kritik, wie ich sie meine, ist nicht beleidigend, sondern nennt Dinge einfach mal beim Namen. Du bist im Skirennen von 20 Leuten abgehängt worden? Das ist keine gute Leistung. Du hast von zehn Scheiben als Biathlet gleich vier verfehlt? Das war in diesem Wettkampf dann einfach mal Mist. Kommt vor. Ihr habt Grütze auf dem Fußballplatz gespielt? Dann wird das auch nicht besser, wenn alle Welt lobt, dass der Ball nicht nach dem zweiten, sondern dem dritten Pass beim Gegner landete. Ihr bekommt reichlich gelbe und sogar rote Karten? Dann ist es aus meiner Sicht legitim, das Zweikampfverhalten als verbesserungswürdig zu bezeichnen, statt immer auf die Schiedsrichter zu schimpfen.
Dazu kommt – wenig spektakulär, doch so treffend: Wenn einen etwas aufregt, muss es einfach manchmal raus.
*An der Stelle ist es wichtig zu wissen, dass ich in der DDR sozialisiert wurde. Leistungssport hatte einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. Es ging immer um Medaillen, weniger als das war keine Option. Wer keine Medaillenchancen hatte, fuhr zu keinen Wettkämpfen.