Wer mich ein wenig kennt, weiß um meinen Faible für Zähne. Heute, am Tag der Zahngesundheit, gilt das natürlich besonders. Ich habe in den vergangenen Jahren die etwas seltsame Angewohnheit entwickelt, Leuten als erstes auf die Zähne zu schauen, wenn ich ihnen begegne. Das passiert ganz unwillkürlich, und manchmal mag ich mich dafür nicht besonders, aber so ist es nun mal. Ich habe zu diesem Thema sehr viel gehört, etwa auf zahnmedizinischen Fachkongressen und vor allem in Gesprächen mit ZahnärztInnen und Dentalhygienikerinnen. Ich habe Literatur gewälzt und ja, auch darüber geschrieben. Es ist einfach zu meinem Thema geworden – in erster Linie beruflich, aber eben auch ein wenig privat. Und in diesem Umfeld kommen dann solche Fragen auf:
- Wie oft soll ich zum Zahnarzt gehen? – Zur Kontrolle mindestens einmal im Jahr, zur Zahnreinigung auch mindestens einmal im Jahr; wer Risikopatient ist, also karies- oder parodontitisanfällig ist oder ein Zahnimplantat hat, öfter.
- Welche Zahncreme soll ich benutzen? – Eine, die Dir schmeckt und Fluorid enthält.
- Welche Zahnbürste soll ich verwenden? – Am besten eine elektrische.*
Ab hier wird es ein wenig kompliziert. Es gibt auf dem Markt zahlreiche elektrische Zahnbürsten: Die einen arbeiten mit Schallwellen (zum Beispiel von Philips), andere mit der rotierend-oszillierenden Technik (zum Beispiel von Oral-B). In Tests der Stiftung Warentest schneiden beide immer wieder gut bis sehr gut ab. Letztlich muss jeder dann schauen, mit welchem System er besser zurechtkommt und eben auch tatsächlich anwendet. So weit, so gut. Im vergangenen Jahrzehnt gingen die Bemühungen der Hersteller verstärkt dahin, das Zähneputzen zu einem Erlebnis zu machen, es emotional aufzuladen und die Bürsten zu Lifestyle-Produkten hochzujazzen. Das zeigt sich zum Beispiel in den verschiedenen Farben der Bürsten (schwarz war zuletzt sehr angesagt, die neueste Idee nennt sich „roségold“) und den schnittigen Werbefotos, auf denen Promis mit blendend weißen Zähnen lächeln. Der jüngste Trend heißt jedoch hier: Digitalisierung. Früher haben wir uns einfach die Zähne geputzt, heute überwachen wir das digital und verbessern damit unser Putzergebnis.
Kleine digitale Helferleins
Die Möglichkeiten dazu werden immer vielfältiger. So war die Vorgängergeneration der Oral-B Zahnbürste mit einem kleinen Zusatzgerät ausgestattet. Darin lief ein Timer, der durch einen Smilie untersützt wurde, der nach ausreichend langer Putzzeit, also nach mindestens zwei Minuten, grinst oder sogar zwinkert. Aus meiner Sicht ist das gar nicht schlecht, denn: Es hat sich gezeigt, dass die durchschnittliche Putzzeit knapp unter einer Minute liegt** – und jeder würde sicher schwören, mindestens zwei, wenn nicht gar drei Minuten geputzt zu haben. Nun könnte man sagen, dass eine Stoppuhr oder gar eine entsprechende Eieruhr den gleichen Zweck erfüllen, und ich gebe zu: Stimmt. Die Erfahrung bei uns hier zeigt allerdings, dass dieser Smilie Spaß macht, nicht nur den Kindern. Das kleine Teil (mein Mann nennt es liebevoll Tamagochi, der Hersteller SmartGuide) zeigt im Ruhezustand die Uhrzeit an und überwacht den Akku-Zustand der Zahnbürste. Es ist ein Gimmick, der durchaus unterstützt und die Motivation fördert. Doch der neueste „heiße Scheiß“ ist die Kopplung der Zahnbürste mit dem Handy. Im Handstück der Zahnbürste befinden sich Sensoren, die die Putzbewegung erkennen. In Kombination mit der Bildanalysefunktion des Smartphones wird auf dem Screen sichtbar, wo geputzt wurde und wo nicht. So erklärt es zumindest der Hersteller (Procter&Gamble für Oral-B Genius). Das erklärte Ziel heißt, keine Stelle im Mund zu vergessen. Eine entsprechende App soll nun helfen, die erreichten Ergebnisse nach und nach zu verbessern. Womit wir bei einem echten Problem wären, nämlich bei der App.
Erhältlich ist diese im App-Store oder bei Google Play, funktioniert also auf Android und unter iOS. Das Herunterladen selbst geht problemlos und schnell. Folgendes ist uns dabei gleich zu Beginn aufgefallen:
- Um die App nutzen zu können, muss beim Smartphone Bluetooth aktiviert sein. Wer das nicht standardmäßig hat, wird darauf nicht hingewiesen, wundert sich also, warum keine Kopplung stattfindet.
- Die App möchte gerne, dass man GPS aktiviert – es bleibt offen, wofür die App das braucht. Denn: Um die Position der Bürste im Mund zu erkennen, ist diese Funktion nicht notwendig.
- Bei der Kamerafunktion kamen Fragen auf: Inwiefern ist eine zweidimensionale Gesichtserkennung notwendig, um eine dreidimensinale Position im Mund zu erkennen?
- Für die Verwendung der App kann ein Nutzerkonto angelegt werden. Blöd, wenn Familien eine Bürste (mit unterschiedlichen Köpfen) benutzt: Es ist nicht möglich, mehrere Nutzer anzulegen. Bei unterschiedlich großen Nutzern gäbe es zudem ein Problem mit der Positionierung des mitgelieferten Kamerahalters.
- Beim Einrichten des Kontos werden sehr viele Daten erhoben, die Nutzungsbedingungen haben es in sich: Sie sind ewig lang, die Datenschutzbedingungen werden nur auf Englisch angezeigt. Zu diesem Zeitpunkt bleibt offen, wofür diese Daten eigentlich benötigt werden, wenn ich doch einfach nur Zähne putzen möchte. Der Hersteller argumentiert hier, dass der Nutzer sein Smartphone mit zum Zahnarzt nehmen und ihm seine Putzergebnisse zeigen kann. Hieraus sollen dann Verbesserungsvorschläge für das Putzen abgeleitet werden. Darüber hinaus bietet die App viel informativen „Content“ – ah ja.
- Für die Speicherung der Daten, was zur Kontrolle des Putzerfolgs ja sinnvoll ist, wird eine Internetverbindung benötigt.

Stand heute gab es laut google Play 500.000 Downloads der App. Insgesamt fanden sich 10.400 Bewertungen, der Durchschnitt liegt bei 3,3. Den 4.100 Bewertungen mit fünf Sternen stehen knapp 2.900 mit nur einem Stern gegenüber. Wirklich ermutigend klingt das nicht.
Wir haben uns gefragt: Wie praktikabel ist das überhaupt mit der App? Wenn ich morgens die Zähne putze, muss ich mein Handy mit ins Bad nehmen, es einklinken und die App sowie die Kamera starten. Will ich das alles morgens, wenn ich müde bin und jeglichen Stress im Badezimmer vermeiden will? Eigentlich möchte ich mir doch nur elektrisch die Zähne putzen und dabei vielleicht noch kontrollieren, wie lange ich das tue – die modernen Zahnbürsten machen das ja auch akustisch. Die Andruckkontrolle, mit der der Hersteller sehr wirbt, bedarf eigentlich auch keiner App, da die Zahnbürste visuell durch eine Leuchte sowie durch die Reduktion der Drehzahl auf zu festen Druck reagiert. Ich habe es noch nie geschafft, diesen Alarm unwillkürlich auszulösen – und ich nutze elektrische Zahnbürsten seit mehr als 20 Jahren. Wir wollten es genau wissen, also haben mein Mann und ich Bürste mit App ausprobiert.
Digitaler Schnickschnack
Für die Kopplung der Bürste mit dem Smartphone ist es zwingend erforderlich, dass die App auf den Standort des Gerätes zugreifen darf; wir wissen immer noch nicht, wofür. Ist das erledigt, wird gefragt, ob die eigenen Nutzungsdaten über Google Analystics geteilt werden sollen, was man ablehnen kann. Im weiteren Verlauf werden einige Features der App vorgestellt: Speicherung der Zahnputzgewohnheiten, Bestellmöglichkeit der Bürstenköpfe über Amazon, Auswahl des Farbringes (Smartring) für die Andruckkontrolle, Einstellung der Gesichtskamera (hier muss der App die Berechtigung erteilt werden, auf die Kamera zuzugreifen) usw. Beim Putzen sehen wir lediglich einen Timer, der auffordert, von Quadrant zu Quadrant zu putzen, die App erkennt aber nicht, wo sich die Bürste gerade befindet. Ich könnte also 2 min an der gleichen Stelle verharren, ohne dass es einen Unterschied machte. Auch mit eingeschalteter Positionserkennung (siehe Bild) wird nur sehr grob deutlich, wo genau geputzt wird: Dafür wird ein Kreis in sechs Segmente unterteilt, deren Farbe von blau nach weiß sich verändert, wenn der Bereich als geputzt erkannt wird. Aber: Wie zuvor auch kann ich mehr oder weniger an der gleichen Stelle verharren, ohne dass die App das bemerkt. Insofern bleibt die Frage, inwieweit der Zahnarzt (oder auch die Eltern an die Kinder) anhand dieser Daten Hinweise geben könnten.
Das Ergebnis überzeugt uns, ehrlich gesagt, nicht. Wir fragen uns, welchen Mehrwert die Bürste uns bietet: Die Zeit konnten wir auch mit dem Vorgängermodell kontrollieren (eine einfache Stoppuhr täte es irgendwie auch), die Andruckkontrolle ist nicht neu und funktioniert ohne App. Die Informationen dazu, wie gut wir quantitativ die Zähne geputzt haben, hilft nicht so recht weiter, da die Positionserkennung viel zu ungenau ist, um uns zu zeigen, welche Zähne noch nicht ausreichend geputzt wurden. Die Vermutung liegt nahe, dass man die App vielleicht eine Weile nutzt, weil es einfach ein digitales Spielzeug ist, aber irgendwann des ganzen Aufwandes dafür müde wird. Mit anderen Worten: Die 299 Euro, die vom Hersteller als UVP angegeben werden, sind für die Bürste inklusive des ganzen Zubehörs (Reiseetui, Aufsteckbürsten) eine echte Ansage und aus meiner Sicht die Sache nicht wert.
Es bleibt jedoch mein Plädoyer für eine elektrische Zahnbürste (egal, von welchem Hersteller!), die übrigens schon ab 20 Euro zu haben ist. Ja, die Aufsteckbürsten sind letztlich teurer als eine Handzahnbürste und müssen regelmäßig ausgetauscht werden, um das Zahnfleisch nicht zu verletzen. Aber sie liefern die besseren Reinigungsergebnisse und sind daher ihr Geld wert. Übrigens: Wer mit der elektrischen Zahnbürste zwei Minuten gründlich putzt, müsste für das gleiche Putzergebnis schon mindestens sechs Minuten mit einer Handzahnbürste tätig werden.***
*Das wurde in mehreren Studien nachgewiesen; die wertvollste ist diese hier: Yaacob M, Worthington HV, Deacon SA, Deery C, Walmsley A, Robinson PG, Glenny A. Powered versus manual toothbrushing for oral health. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014, Issue 6. Art. No.: CD002281. DOI: 10.1002/14651858.CD002281. pub3.
**Bei Verwendung einer Handzahnbürste. Quelle: British Dental Health Foundation. May 25, 2010. Retrieved from www.dentalhealth.org/news/details/399
***Van der Weijden et al., J Clin Periodontal 1993, 20:476-481
Transparenz: Ich habe von Oral-B die aktuelle elektrische Zahnbürste erhalten. Dieser Beitrag hier ist weder mit dem Unternehmen Procter&Gamble abgesprochen, noch wurde er in irgendeiner Form vergütet.