Ach, hätt‘ er nur geschwiegen. Oder: Wie man beim HSV ein Amt nicht übernimmt.

Es ist Fußball-WM, doch welches (sportliche) Thema beherrscht die Medien und ihre Konsumenten in Hamburg? Genau: der HSV! Die Zeit zwischen der Mitgliederversammlung am 25. Mai und der Eintragung ins Handelsregister der neuen HSV Fußball AG mit ihren Organen mit Leben zu füllen, haben sich offensichtlich viele zur Aufgabe gemacht. Was im einzelnen passiert ist, hat Daniel Jovanov, ein junger Kollege bei goal.com, sehr schön hier zusammengefasst.

Halten wir zunächst einmal fest: Die Ausgliederung des Profifußballs beim HSV ist beschlossen. Es wurde ein Aufsichtsrat (AR) gewählt, der aus sechs Personen besteht. Eine davon wird durch den noch zu wählenden neuen Präsident des HSV e.V. ersetzt. Dieser AR hat durch das Aktiengesetz klar vorgegebene Aufgaben, die hier nachzulesen sind. Der § 116 regelt darüber hinaus die Sorgfalts- und Verschwiegenheitspflicht des AR.

Daraus ergeben sich für mich zwei Dinge:

1. Karl Gernandt ist der neue AR-Vorsitzende der HSV Fußball AG. Als solcher tritt er sein Amt zum 1. Juli 2014 an. (Und nicht am 25. Mai!)

2. Als AR-Vorsitzender hat er klar definierte Aufgaben, zu denen es nicht gehört, das operative Geschäft zu betreiben bzw. öffentlich darüber zu befinden (siehe §116) . Er hat den Vorstand in der Wahrnehmung seiner Aufgaben zu kontrollieren.

Die bittere Wirklichkeit

Karl Gernandt ist noch gar nicht im Amt, mimt aber den neuen starken Mann beim HSV: Er äußert sich gegenüber allen möglichen Medien teilweise bissig, aber immer ausführlich zu Dingen den HSV betreffend. Da werden getätigte Transfers kommentiert (Stieber), bestehende Personalverträge in Frage gestellt (alles muss auf den Prüfstand), unter Vertrag stehende Spieler öffentlich diffamiert (Calhanoglu). Die Presse nimmt all das dankbar auf, der HSV interessiert, die Geschichten darüber werden immer gerne gelesen/geklickt. Man reibt sich verwundert die Augen, denn im Vergleich zur Zeit vor der Mitgliederversammlung haben sich im Grunde nur zwei Dinge geändert: Die Infos kommen nicht mehr von einem Maulwurf, sondern offen und von ganz oben; statt der BILD darf nun der KICKER zuerst.

Aktuelle und potenzielle Mitarbeiter des HSVmüssen sich vorkommen wie im falschen Film: Wem sollen sie vertrauen? Was gelten bestehende Verträge? Wohin geht die Reise wirklich?

Bei den Mitgliedern / Fans sind die Reaktionen sehr unterschiedlich. Jene, die HSVplus nicht gewählt haben, zeigen grinsend auf Gernandt und fragen (nicht ganz zu Unrecht), ob das jetzt so viel besser als das vorher wäre. Dann sind da welche, die (zum Teil auf sehr niveaulose Art) auf die Berichterstatter schimpfen – sie würden doch nur an sich (verkaufte Auflage, Klicks usw) denken, und dafür sei ihnen jedes Mittel recht. Wieder andere rufen zur Ruhe auf, bitten um Verständnis für Gernandt (dazu gehört auch der von mir sehr geschätzte Trapper), der sich erst an seine Aufgabe gewöhnen müsse. Man solle ihm Zeit geben (von 100 Tagen ist die Rede), was habe er inhaltlich denn schon gesagt? Und schließlich gibt es welche – zu jenen zähle ich mich –, die ob des ganzen Theaters langsam sauer werden.

Wie kann es sein, dass jemand, der noch nicht einmal im Amt ist, sich derart in der Öffentlichkeit präsentiert und all das, was er vor der MV in einer PK gesagt hat, quasi ad absurdum führt? Mit welchem Recht kommentiert der designierte AR-Chef der HSV Fußball AG öffentlich (!) Transferentscheidungen der amtierenden Geschäftsführung, die schlicht ihren Job macht? Warum gibt Gernandt derart bereitwillig über Dinge Auskunft, die intern noch gar nicht ausdiskutiert wurden?

Die zwingend nötige Zukunft

Karl Gernandt sollte eines klar sein: Er ist noch nicht der AR-Vorsitzende. Und er schadet mit seiner Omnipräsenz in den Medien dem HSV ganz massiv: Die Mitarbeiter beim HSV wissen überhaupt nicht mehr, woran sie sind. Künftige Mitarbeiter (etwa Herr Stieber) fragen sich, ob sie tatsächlich gewollt sind oder nicht. Und nicht zuletzt dürften sich auch potenzielle strategische Partner fragen, was von jemandem zu halten ist, der vorher die Geschwätzigkeit des Aufsichtsrats anprangert, jetzt aber selbst massiv ins öffentliche Rampenlicht drängt.

Das alles ist aber in meinen Augen nicht der Fehler der Medien. Die machen hier einfach ihren Job. Und man sollte Kollegen wie Jovanov dafür schätzen, dass sie das unaufgeregt und sachlich tun. Nein, der Fehler liegt bei einer einzigen Person, der von Karl Gernandt. Niemand hat ihn gezwungen, sich als Pressesprecher des HSV zu betätigen. Niemand von jenen, die ihn gewählt haben (inkl. meiner Person), hat diese Medienpräsenz von ihm gewünscht oder erwartet. Im Gegenteil: Gewollt ist Ruhe im Karton! Gewollt ist professionelles Arbeiten – nach außen und auch nach innen. Gewollt ist ein HSV, der sich aus der selbst erklärten Abhängigkeit von den Medien befreit. Gewollt ist ein HSV, der nach außen erst dann spricht, wenn es Substanzielles zu vermelden gibt – und dies vorzugsweise zuerst über die eigenen Kanäle! Gewollt ist ein HSV, für den die Mitarbeiter wieder gerne arbeiten, weil sie Vertrauen haben und leben können. Gewollt ist ein HSV, zu dem neue Mitarbeiter (will sagen: Spieler) gerne kommen, weil sie wertgeschätzt werden, einen nicht ständig wechselnden Ansprechpartner haben und sich entwickeln dürfen.

Ich habe am 25. Mai für HSVplus gestimmt, weil ich den HSV professionell aufgestellt sehen möchte. Das impliziert nicht eine Erwartung an bestimmte Tabellenplätze, sondern u.a. eine konsequente, professionelle Haltung des Führungspersonals. Und auf die sollte sich Herr Gernandt bitte wieder besinnen!

Nachtrag:
Es ist richtig, dass ich hier sowohl die Formalie, dass Gernandt offiziell noch kein AR-Vorsitzender ist, als auch seine Äußerungen als Privatmann als Grundlage meiner Kritik wähle. Das macht die Sache aus meiner Sicht noch pikanter. Er bewegt sich in der Öffentlichkeit mindestens so, als sei er der Sprecher einer neuen Struktur – dass er dieses Mandat hat, ist offiziell nicht bekannt und aus meiner Sicht auch sehr unwahrscheinlich. Die bisherige Kommunikationsstruktur von HSVplus war bisher extrem defensiv und klar: Außer offiziellen Pressemitteilungen bzw. Pressekonferenzen gab es keine Informationen nach außen. Und das soll auf einmal anders sein? Wohl kaum!

7 Kommentare Gib deinen ab

  1. toooreck sagt:

    Hat dies auf toooreck rebloggt.

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  2. Ich stimme Dir zu, dass endlch „Ruhe im Karton“ sein sollte und professionell gearbeitet werden muss. Sehr einverstanden bin ich auch, was deine Ausführungen zur (zukünftigen) Mitarbeiterführung angeht.Begeistert war ich auch nicht beim der Lektüre seines Interviews.
    Dennoch meine ich, dass man jedem Menschen eine gewisse Eingewöhnungs- und Einarbeitungszeit gewähren sollte.
    Gernandt ist in meinen Augen ein wortgewandtes Aplhatier. Blitzgescheit, eloquent und wohl auch mit einem gewissen Sendungsbewusstsein ausgestattet. Eigenschaften die man wohl auch benötigt, wenn man die Verantwortung für zehntausende Mitarbeiter trägt und nicht daran zerbrechen will.
    Das Profigeschäft Fußball reagiert auf Aussagen von Führungspersönlichkeiten feinnerviger, anders, nämlich hysterischer, als die Geschäftswelt, aus der er kommt. Man kann seine mediale Präsenz durchaus berechtigt kritisieren, sollte ihm aber eine gewisse Anpassungszeit an die spezifischen Bedingungen einräumen, finde ich.
    Ich gehe zunächst einmal davon aus, dass man ihm schon die passende Rückmeldung aus berufenem Munde geben wird. Und ich gehe bis auf Weiteres auch davon aus, dass der Mann in der Lage ist, sich selbst kritisch zu reflektieren. Sollte er ab dem kommenden Winter immer noch derart agieren, werde ich mich deiner Kritik anschließen.

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    1. mrscgn sagt:

      Inzwischen werden wir ja von den Ereignissen überrollt. Jetzt hat sich auch noch Kühne ausführlichst zu Wort gemeldet. Nach meinem Empfinden widerspricht er sich darin auch noch auf haarsträubende Weise.
      Einerseits möchte ich Dir zustimmen darin, dass vielleicht hinter so mancher Aussage knallhartes Kalkül steckt, andererseits denke ich mir, dass dieser von Gernandt und Kühne gewählte Weg nicht der richtige sein kann. Das, was beide ständig kritisieren (Störfeuer, Mitteilungsbedürfnis usw), praktizieren sie selbst und merken es offenbar nicht mal. Da stehst Du als Fan mit heruntergefallener Kinnlade da und kannst es nicht fassen.
      Es bleibt uns nur die Hoffnung, allein: Mich beschleicht Resignation. In Hamburg, sprich: beim HSV, muss das alles wohl so sein. :-/

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      1. Nicht so schnell, Speedy Gonzalez! -)

        Nicht nur inhaltlich sollte man zwischen dem Gernandt-Interview und dem Kühne-Interview differenzieren:
        Was Kühne sagte, ist m.E. inhaltlich kaum zu beanstanden, da er eine, eben seine legitime Meinung äußerte. Problematisch ist daran allein die Tatsache, dass es eben Kühne ist, der dort seine Meinung sagt, was den Aussagen ein besonderes Gewicht verleiht.

        Sinngemäße Sätze wie „wenn Calhanoglu jetzt auch noch[sic!] gegen unseren Willen[sic!] verkauft wird, dann gibt es von mir kein Geld!“ erzeugen Druck und unterstreichen natürlich das verbreitete Gefühl, dass sich hier ein Mann, eben Kühne, massiv in das operative Geschäft einmischt. Wenn man aber genau liest, dann klingt durch, dass wohl beide (Gernandt und Kühne) sehr irritiert waren, dass die abgewählten Herren (Vorstand/AR) a.) nicht zurückgetreten sind und den Weg frei gemacht haben und b.) offenbar die Geschäfte so fortgeführt haben, dass die neuen, mit überwältigender Mehrheit gewählten Herren den Eindruck hatten, sie würden in die Entscheidungen nicht(!) ausreichend eingebunden. Wenn dem so sein sollte, dann wäre ich an seiner Stelle auch sauer.

        Wenn ein Herr Kühne ein Interview gibt, dann wird er aber auch anderes gefragt. Dazu müsste er dann nichts sagen, was m.E. klüger gewesen wäre!, aber er hat eben, wie fast jeder andere auch, auch zu anderen Fragen eine Meinung. Dass Herr Kühne nicht von Herrn Slomka überzeugt ist – seine (legitime) Meinung. Tatsächlich aber stellt er die Trainerfrage unter den Vorbehalt der Kompetenz und Entscheidung Beiersdorfers. Die ultimative Forderung, wie der Boulevard eiligst titelte, Slomka müsse weg, hat er so nicht erhoben. Kühne hat, im Gegensatz zu Gernandt, kein Amt beim HSV, aber seine Äußerungen erhalten allein durch die momentane finanzielle Abhängigkeit des Vereins allein von ihm – noch sind ja keine anderen Geldgeber im Boot – ein besondere, enorme Bedeutung.

        ich verstehe zwar, dass man als Fan das alles höchst überflüssig findet und mancher sich in seinen üblen Vorahnungen bestätigt sieht, meine jedoch, dass es sich hier zunächst um Reibungsprozesse handelt, die aus dem Übergangsprozess zwischen alter und neuer Struktur, der eben wohl nicht so läuft/lief, wie man es erwartet hatte, resultieren. Das ist aber, so oder so, Anfang Juli erledigt. Danach(!), ich schrieb das bereits, beginnen(!) erst die 100 Tage Schonfrist für Gernandt, Beiersdorfer und Co.

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      2. mrscgn sagt:

        dass die abgewählten Herren (Vorstand/AR) a.) nicht zurückgetreten sind und den Weg frei gemacht haben und b.) offenbar die Geschäfte so fortgeführt haben, dass die neuen, mit überwältigender Mehrheit gewählten Herren den Eindruck hatten, sie würden in die Entscheidungen nicht (!) ausreichend eingebunden.

        Das ist ein sehr wichtiger Punkt, und diesen anzusprechen, halte ich auch für in Ordnung.
        Allerdings: Ich kann doch nicht einerseits sagen, dass diese Störfeuer aufhören müssten, und dann solche Aussagen lancieren! Wie ernst nimmt man jemanden, der sich so verhält? Er muss seine Meinung nicht öffentlich kundtun, es gibt dafür auch andere Wege. Das weiß Kühne mit Sicherheit auch.

        Ebenso widert es mich an, dass die geplanten und keineswegs sicheren Transfers (Lasogga, Skjelbred, Sobiech) in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Bei Vollzug wird das vermeldet, gerne auch mit Interview und hastenichgesehn, aber doch nicht schon vorher! Dass Kühne sagt, er würde Geld für Lasogga rausrücken, stärkt die Verhandlungsposition von Preetz! Dass er HC9 zwingend behalten will und an Bedingungen knüpft, ist ebenso unglücklich. Der neue AR hat den Auftrag bekommen, für eine Entschuldung zu sorgen! Dafür soll Geld reinkommen. Bei Transfers gilt es, erst einmal Geld in die Kasse zu bekommen, bevor schon wieder mit vollen Händen ausgegeben wird. Wir wollen es doch endlich mal anders machen als in den vergangenen drei Jahren.

        Es macht mich einfach traurig, dass die Kommunikation einfach nicht gelingen will.

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  3. Ich entnehme deinem Zorn u.a., wie sehr die Dinge beim HSV im Argen lagen (und noch liegen). Deine Kritik halte ich inhaltlich für nachvollziehbar und zu großen Teilen auch für völlig berechtigt. Wenn aber die Dinge doch derart in Schieflage waren, dann beweist dies einmal mehr, wie dringlich und notwendig der Strukturwandel grundsätzlich ist. EIn Strukturwandel ist aber ein tiefgreifender Prozess mit vielen Hebeln und Schräubchen, an denen gezogen und gedreht werden muss. Das ist etwas gänzlich anderes, als einen inkompetenten und nicht funktionierenden Mitarbeiter durch einen besseren auszutauschen. Ein derartiger, tiefgreifender Veränderungsprozess benötigt Zeit, zumal man auch den neuen Leuten, egal wie kompetent sie auch sein mögen, eine gewisse Zeit zubilligen muss, zumindest um z.B. alle offenen „Baustellen“ zu besichtigen. Erst nach der Besichtigung, um im Bild zu bleiben, beginnen(!) die Baumaßnahmen. Der Abschluss des Bauvorhabens kommt (viel) später.
    Wenn zwei das Gleiche zu tun scheinen, dann ist es bekanntlich noch lange nicht dasselbe, auch wenn man den Eindruck gewinnen könnte (und sich mancher in seinen düsteren Vorahnungen gegenwärtig bestätigt sieht). Ich bleibe daher dabei: Geduld ist gefragt. Sollten manche Dinge ab dem Herbst/Winter immer noch derart laufen, dann werde ich mich nicht scheuen, dies dann auch mit gebotenem Nachdruck zu kritisieren.

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