Seien wir doch mal ehrlich. Zu uns selbst.

Die Sonja hat in ihrem Blogpost zu ihrem ganz persönlichen „Vereinbarkeits-Alltag“ eine gute und wichtige Diskussion angestoßen, die sowohl im Netz als auch in der Realität Thema geworden ist. Gut so. Zunächst erinnert der Post ein wenig an ihren Beitrag zur Selbstoptimierungsfalle, in die sie sich selbst tappen sah, doch auf den zweiten Blick wird klar: Es geht hier um etwas sehr Grundsätzliches. Darum, wie wir sowohl im Mikrokosmos Familie als auch auf gesellschaftlicher Ebene damit umgehen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Realität so nicht wirklich existiert. Diese Erkenntnis ist nicht neu: Schon 2014 veröffentlichten Susanne Garsoffky und Britta Sembach mit „Die Alles ist möglich-Lüge“ ein Buch zu diesem Thema. Sie sagen: Wer Familie und Beruf gleichzeitig leben wollte, würde einen Preis dafür zahlen – und dieser Preis sei hoch.  In der ZEIT online erschien ein Auszug aus diesem Buch, und darin heißt es unter anderem:

Interessant wäre, wenn diese glatte Fassade einmal Risse bekäme, wenn durchschimmern würde, dass auch Powerfrauen Selbstzweifel und Ängste haben, dass bei ihnen auch nicht alles so glatt läuft und ihr Aufstieg einen Preis hat.

Und genau das hat Sonja getan. Auch wenn sie, wie sie selbst sagt, zum Schutz der Intimsphäre nur oberflächlich ihren Alltag beschreibt, wird doch deutlich: Es ist eben nicht alles nur eine Frage der Organisation, der Disziplin und Konsequenz. Wir sind Menschen, keine Maschinen. Als solche haben wir Befindlichkeiten, uns geht es nicht jeden Tag gleich gut, wir haben unsere Gedanken und Gefühle, denen wir nachhängen bzw. nachspüren wollen, ja müssen. Es ist aus meiner Sicht völlig richtig, darüber zu reflektieren, wie es einer Familie geht, die sich aufgrund verschiedener Faktoren, die nicht komplett in der eigenen Verantwortung liegen,  in einer Situation wiederfindet, die sie so nicht zwingend wollte.

Analysieren, hinspüren, wirken lassen

Der Weg, damit umzugehen, sollte beginnen beim Ehrlich-Sein. Und zwar vor allem zu sich selbst. Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine Selbstverständlichkeit ist, wie ich mir das wünsche. Ich hatte es schon einmal in einem anderen Beitrag erwähnt, dass mir da etwas auffällt: Auf Social-Media-Kanälen zeichnen so manche via Fotos und kurzen Posts ein Leben, von dem sie sich offensichtlich wünschen bzw. bei anderen den Eindruck erwecken wollen, dass es genau so wäre. Das führt dann zu einem verzerrten Bild und begünstigt den gesellschaftlichem Druck (denn natürlich ist nicht jedem Leser sofort bewusst, dass da nur sehr bewusste gewählte Ausschnitte zu sehen und zu lesen sind): Du musst Dich nur genug anstrengen, dann klappt das auch. Was für eine Botschaft!  Wie gut täte es dagegen, das Leben auch einmal so zu zeigen, wie es eben manchmal ist: durchaus auch mal langweilig, anstrengend, hässlich, aufwühlend, verzweifelt. Rein psychologisch, so meine ich, kann es tröstlich sein zu wissen, dass es einem nicht allein so geht.

Ich bin davon überzeugt, dass es viele Frauen (und auch Männer) gibt, die hinsichtlich dieses Lebens der postulierten Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht zu 100 Prozent aufrichtig gegenüber sich selbst sind. Aus durchaus nachvollziehbaren Gründen: Eine einmal getroffene Entscheidung bedarf auch immer wieder der Bestätigung („Ich habe das richtig gemacht.“), alles andere würde sich unangenehm anfühlen. Hinzu kommen Gedanken darüber, wie andere einen selbst sehen: Genüge ich den Ansprüchen meiner Umwelt? Entspreche ich den Anforderungen, die die Umwelt an mich als Frau/Mutter oder Mann/Vater stellt?

Dabei wäre Ehrlichkeit schon der erste Schritt in die richtige Richtung. Geben wir doch endlich zu, dass in den meisten Fällen entweder der Beruf oder die Familie leidet, wenn wir versuchen, beides gleichzeitig zu leben.

Und nicht nur das. Geben wir ruhig zu, dass wir uns die Sache mit dem Familienleben und Karriere doch etwas anders vorgestellt haben – zunächst einmal völlig wertfrei, „anders“ heißt weder besser, noch schlechter. Erkennen wir an, dass es nur in seltensten Fällen möglich ist, wirklich alles gleichzeitig zu haben. Analysieren wir ehrlich die äußeren Umstände, spüren wir aufrichtig in uns hinein und lassen die Gefühle und Gedanken, die dabei aufkommen, auf uns wirken. Und machen wir uns dabei klar, dass wir dem nicht komplett ausgeliefert sind, wir haben die Möglichkeit, unser Denken und Fühlen zu beeinflussen. Ich bin da durch:

  • Ich habe ein Kind bekommen, als es noch kein Elterngeld gab, kehrte nach nur sieben Monaten zurück in den (fest angestellten) Job mit 32 Stunden. Das Ergebnis: Ich hatte permanent ein mieses Gefühl und fing an,  mich unerklärlich ständig zu erbrechen. Die Entscheidung, in die Freiberuflichkeit mit einem festen Auftraggeber zu wechseln, stellte sich als eine Lösung heraus, die sofort für Wohlbefinden sorgte. Es war letztlich kaum ein Verzicht auf Geld, aber eben auf die Möglichkeit, beim Arbeitgeber in irgendeiner Form Karriere zu machen. Und es war für mich okay.
  • Das zweite Kind wurde geboren, es bedurfte danach einer beruflichen Veränderung, und sie kam. Job mit viel Unterwegs-Sein auf Kongressen und Messen für mich sowie für den Mann viel Zeit und Verantwortung  zu Hause bei den Kindern. War ich dann überhaupt eine gute Mutter?  Das Überdenken eigener Erwartungshaltungen, das bewusste Wahrnehmen der eigenen Befindlichkeit zeigte: Mein Job hatte mit meinem Gefühl von Mutter-Dasein überhaupt nichts zu tun. Das Kriterium war und ist nicht irgendeine (gesellschaftlich induzierte) Erwartung, sondern allein das Wohlbefinden meiner Kinder, meines Mannes, von mir selbst. Sonst nichts.

Neue Haltung – neue Perspektiven

Nach einer befriedigenden beruflichen Laufbahn vor der Geburt der Kinder, nach zwei wirklich heftigen Schwangerschaften, die ich überstand, nach nun fast 13 Jahren Berufstätigkeit bei gleichzeitigem Dasein als Mutter weiß ich eines ganz sicher: Ich muss niemandem, schon gar nicht mir selbst, noch irgendetwas beweisen. Perfektion ist heute irrelevant. Ich habe für mich klargestellt, dass ich sehr wohl alles haben kann, aber eben nicht gleichzeitig. Ganz wichtig: Ich erwarte das auch nicht von mir. Die Kinder sind heute älter, damit selbständiger, und dies eröffnet auf einmal ganz andere, schöne Perspektiven – sowohl für meinen Mann als auch für mich.

Ehrlichkeit heißt also, gut zu unterscheiden zwischen dem Druck, den wir Frauen und Männer uns selbst machen, denn den können wir sofort ändern, und jenem Druck, der durch äußere Umstände entsteht. Auf dem Arbeitsmarkt beginnen sich Dinge zu verändern, langsam. Zumindest nehme ich das in meiner direkten Umgebung so wahr. Firmen sehen durchaus, dass sie erfahrene Mitarbeiter brauchen, und sie stellen auch solche Leute ein.  Es verminderte darüber hinaus äußerlichen Druck, wenn wir Eltern (vor allem wir Mütter) aufhörten, uns ständig in einen Wettbewerb um die „Vereinbarkeitsmedaille“ zu begeben – sie nützt niemandem. So können wir letztlich alle jeweils einen kleinen Teil zu spürbaren Veränderungen im Großen und im Kleinen beitragen. Denn unsere Einstellung wird dann auch in unserem gesellschaftlichen Auftreten – an welcher Stelle auch immer – sichtbar. Und das lohnt sich ganz bestimmt. Für uns alle.

Zum Weiterlesen empfehle ich die beiden nachstehend genannten Posts, wirklich lesenswert, auch wenn ich die Sache mit den Arbeitgebern in meiner Umgebung etwas anders wahrnehme. Das ist jedoch nur ein klitzekleiner Ausschnitt; grundsätzlich stimme ich dem Autor Robert Franken zu:

https://digitaletanzformation.wordpress.com/2016/05/25/wollen-wir-uns-das-leisten-fuer-ein-ende-der-muetterdiskriminierung/

http://www.quadratimkreis.com/2016/05/26/das-ist-der-mann-zu-meinem-beruf/

 

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