Nicht auf das Schulsystem, auf die Menschen darin kommt es an

Wenn es um Fragen zum Thema Schule und Lehrer geht, fühle ich mich getriggert, und die liebe Mama notes hat das mal wieder mit einem Blogpost geschafft. Sie hadert darin sehr mit dem Schulsystem hier in NRW. Dazu hat sie eine Blogparade ins Leben gerufen. Da ich mich aber hier schon einmal mit der Grundschule auseinandergesetzt habe, in die mein K2 voriges Jahr gekommen war, will ich mich hier einmal dezidiert mit Sonjas Meinung auseinandersetzen. Ich kann sie an vielen Stellen verstehen, an mehreren jedoch so überhaupt nicht.

Fakt ist, Schule kann Traumata auslösen, selbst bei denen, die ganz gut waren und später sogar ein Hochschulstudium absolvierten, wie in meinem Fall. Ich liebte die Uni und ich liebe das Lernen, immer noch. Aber bei Gedanken an die Schule bekomme ich traurige Gefühle, Beklemmungen und Wut.

Dass Schule gleich mehr als ein Trauma auslösen kann, finde ich sehr hart formuliert, ich bin mir auch nicht sicher, ob das exakt so stimmt, Empirie habe ich dafür jetzt auch nicht gesucht. Meine Erfahrungen sind übrigens andere, ich habe zu DDR-Zeiten studiert, und das System war extrem verschult: Wer mich fragt, woran ich mich heute noch erinnere, was mir heute noch in meiner Arbeit hilft, dann werde ich immer sagen, dass es die ersten beiden Jahre meines Studiums waren, und die waren voll mit Vorlesungen (= frontal) und Seminaren (= frontal). Meiner Ansicht nach ist es nicht zwingend die Schule selbst, sondern die Menschen darin, die etwas mit den Kindern machen. Ich halte es für falsch, die eigenen Erfahrungen 1:1 auf die Schule zu übertragen, auf die das eigene Kind gehen soll.

Egal welche Schulform, letztendlich sind alle dem Schulsystem unterworfen. Wir können unser Kind kaum schützen vor Druck und Demütigungen auf der einen sowie Langeweile und Unterforderung auf der anderen Seite.

Ich finde es außerordentlich traurig, die Schule, wie hier geschehen, mit so vielen negativen Vokabeln zu belegen. Das Schulsystem, das wir heute haben, war nicht immer so, es hat sich unglaublich verändert. Gerade in der Grundschule sind viele Dinge passiert, so dass ich sagen möchte, dass diese Einschätzung zumindest meine Realität nicht trifft. Grundschule ist das Gegenteil von Druck und Demütigung. Sie ist das Gegenteil von Langeweile und Unterforderung. Die Klassen sind häufig klein, inklusive Klassen sind mindestens mit zwei Lehrern besetzt, dazu kommen Betreuer von gehandicapten Kindern.

Übertriebene Sorgen

Nun bin ich weit davon entfernt, die Grundschule in den Himmel zu heben – mir ist es ja eher zu wenig Druck, zu wenig Wettbewerb, zu wenig Vorbereitung auf das, was nach der 4. Klasse auf die Kinder wartet. In der Schule von K2, sie besucht die 2. Klasse, ist es zum Beispiel nicht üblich, dass laut vorgelesen wird. Die Begründung: Die Leistungsunterschiede seien zu groß, es könnte Kinder verletzen, wenn sie hörten, wie andere Kinder läsen und sie selbst es eben noch nicht so könnten. An dieser Stelle, liebe Sonja, fasse ich mir an den Kopf.

Fakt ist, es gab in den 80ern und 90ern unfassbar schlechte, unempathische und anscheinend auch rückgratslose Lehrer*innen. Und ich befürchte, es gibt sie immer noch.

Das ist in meinen Augen keine neue Erkenntnis. Lehrer/innen sind Menschen. Und unter ihnen gibt es schon immer solche und solche. Wer wollte ihnen das vorwerfen? Die Kritik müsste sich m.E. eher an jene Stellen richten, die entscheiden, wer auf Lehramt studieren darf und wer nicht. An Stellen, die die Lehrer-Ausbildung zu verantworten haben. An jene, die für die Fortbildungen zuständig sind.

Ich wünsche mir, dass meine Kinder so bleiben dürfen wie sie sind, ohne dass sie sich verbiegen müssen. Ich will nicht, dass meinem Kind das Interesse an beispielsweise Mathematik verleidet wird, nur weil der Unterricht so unsagbar langweilig ist. Oder weil der / die Lehrer*in offen ausspricht, dass Mädchen generell schlechter in Mathematik seien. (Ist ein Zitat, erzählte mir so eine Mutter.) Ich möchte nicht, dass mein sensibler Junge ausgeschimpft wird und danach mit „Stell Dich nicht so an!“ vor der ganzen Klasse angeblafft wird.

Alle Eltern wünschen sich für ihre Kinder nur das Beste, das ist doch klar. Aber zu unterstellen, dass kleine Konflikte für die Kinder ein Drama wären, halte ich ehrlich gesagt für übertrieben. Ob ein Unterricht interessant ist oder nicht, liegt oft im Auge des Betrachters, im Zweifel würde ich dem Ganzen mal eine Chance geben. Auch wenn ich das Missgefühl teile, wenn Kinder ausgeschimpft werden: Kinder werden dadurch nicht unbedingt sofort traumatisiert. Ganz häufig kommt es bei ihnen ganz anders an als bei uns Erwachsenen; und Kinder wachsen auch an Herausforderungen, die ihnen die Schule und die Menschen darin (!) so bieten.

Ich möchte nicht, dass Kinder still sitzen müssen, wenn ihnen gerade nach Bewegung ist. Ich möchte nicht, dass sie plötzlich in ein 45 Minuten Korsett eingesperrt werden, um sich einem Unterrichtsfach zu widmen. Ich erinnere mich mit Schauder an Frontalunterricht.

Ich beobachte auch an mir, dass ich meine eigenen schulischen Erfahrungen gerne zum Maßstab mache, um das heutige System zu bewerten. Einen anderen habe ich ja auch nicht. Nachdem ich mich bei K1 sehr am Lehrer „abgearbeitet“ habe, gab ich mir selbst bei K2 und an einer anderen Schule die Chance, mich auf das, was sie dort mit den Kindern machen, einzulassen.* Diese ganze Veranstaltung dort unterscheidet sich komplett von meinem Grundschulerlebnis, aber nun: Ich finde das nicht so verkehrt. Die Lehrerin ist ein Traum, und sie führt die Kinder an diese Konzentrationsphasen, die irgendwann 45 Minuten erreichen, heran. Es gibt nicht nur, aber eben auch manchmal Frontalunterricht. Die Kinder lieben sie und ihren Unterricht. Grundschule ist ein Prozess, der im Fluss ist. Die Kinder werden hier (idealerweise) auf die weiterführende Schule, in der ganz andere Regeln gelten, vorbereitet – mal besser, mal weniger gut. Aber Kinder daran zu gewöhnen, Dinge zu tun bzw. ein Verhalten zu zeigen, nach dem ihnen vielleicht gerade nicht ist, finde ich nicht verkehrt oder beklagenswert.

Was ich noch befürchte sind die Noten und das darauf einsetzende Vergleichen von sich und anderen. Das nicht mehr zufrieden sein können, wenn man sich selbst doch genauso gut findet, wie das andere Kind, man selber aber eine schlechtere Note bekommen hat. Wie demotivierend! Ich befürchte Noten als Druckmittel, ob bewußt oder unbewußt eingesetzt, ob vom Lehrer oder gar von Eltern ausgehend. Ich befürchte Demotivation und öffentliche Demütigung durch benotete Klassenarbeiten.

Hier sind wir wieder an einem Thema, zu dem ich eine konträre Meinung habe. Ich verstehe immer noch nicht, was an diesen Vergleichen so schlimm sein soll – Kinder machen es doch ganz automatisch. Das beginnt schon im Kindergarten (Wer ist als erster auf der Rutsche?) und hört doch nicht einfach irgendwie auf. Entscheidend ist vielmehr, wie wir mit Unterschiedlichkeit umgehen. Und da haben wir Eltern die Verantwortung! Wir müssen dafür sorgen, dass die Kinder immer wissen, dass sie richtig und okay sind, so wie sie sind. Ich finde es sehr unfair zu behaupten, dass eine schlechte Note zu einem Trauma führt. Es gibt genügend Beispiele, die zeigen, wie sehr nicht ganz so optimale Noten motivieren können. Nicht jede temporäre Niedergeschlagenheit ist ein Trauma. Unterschiedliche Anstrengungen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen – das lehrt uns doch auch das Leben. Darauf bereitet die Schule vor.

Trotzdem hat die Gleichung, die beste Schulform für das Kind unter Berücksichtigung von seiner Persönlichkeit, den Lehrern an der Schule, den Schulweg und den Freundeskreis mindestens zwei wenn nicht gar drei oder noch mehr Unbekannte.

Das ist doch in Ordnung so. Wie langweilig wäre das Leben, gäbe es keine Unbekannten. Wir können unseren Kindern nicht ständig einen roten Teppich ausrollen, von dem wir auch noch die Krümel wegkehren. Wir sollten unseren Kindern vielmehr die Möglichkeit geben, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Dazu gehört, sie eben nicht mit unseren Zweifeln und Urteilen zu belasten (Kinder spüren so etwas!). Es schadet den Kindern nicht, wenn die Erfahrungen nicht immer toll sind, im Gegenteil. Sie lernen dann, gemeinsam mit ihren Eltern damit umzugehen und fertig zu werden. Das gehört nach meiner Ansicht einfach zum Leben dazu.

Es ist auch Wettbewerb, der uns antreibt

Meine Erfahrung (und wohl nicht nur die) sagt: Es kommt immer, wirklich immer auf die Menschen an. Du kannst das tollste Schulsystem haben, wenn die Lehrer darin lustlos, kompetenzarm und kommunikationsschwach sind, nützt Dir das gar nichts. Umgekehrt jedoch können engagierte, kompetente und empathische Lehrer viel „rausreißen“. Es gibt Lehrer, die mit Grundschülern in Englisch auch schreiben, obwohl es der Lehrplan nicht vorsieht. Weil sie nämlich wissen, dass es sonst wenig bringt und den Kindern in den weiterführenden Schulen sonst etwas fehlt. Es gibt Lehrer, die den Kindern, etwa in Thüringen, Schreibschrift beibringen, obwohl der Lehrplan das untersagt. Weil sie wissen, wie wichtig eine zusammenhängende Handschrift ist. Es gibt Lehrer, die mit den Eltern zusammenarbeiten, ihre Sorgen und Nöte ernstnehmen und nach Lösungen suchen. Weil ihnen die Kinder und deren Familien wichtig sind. Es gibt Lehrer, die Verantwortung übernehmen, weil sie ihren Beruf einfach verstanden haben.

Grundschulen sind im Vergleich zu den weiterführenden Schulen ein Hort der Glücksseligkeit. Viele der von Sonja angeführten Bedenken sehe ich eher für die Zeit nach der 4. Klasse als sehr verständlich an, wenngleich es auch dort Unterschiede gibt. Ich finde Wettbewerb nicht grundsätzlich verwerflich, sondern sage: Das ist etwas, das die Menschen antreibt. Wer sich dafür interessiert, also mehr dazu wissen möchte, was uns voranbringt, kann mal bei Steven Reiss (Reiss-Profile) oder Simon Sinek (It starts with Why) nachlesen. Es ist sicher vieles darin diskutabel, aber ebenso vieles, das Sinn ergibt. Wir haben alle unsere Gründe, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun – gehen wir einfach mal davon aus, dass unsere Kinder durchaus andere haben könnten als wir selbst. Meiner Meinung nach tun wir Eltern daher gut daran, uns ein wenig zu entspannen und den Kindern etwas zuzutrauen, zum Beispiel auch, mit nicht zu 100 Prozent optimalen Umständen klarzukommen und ihren Weg selbstbewusst und -bestimmt zu gehen.

 * Der Mann sagt übrigens, dass ich inzwischen sehr viel gelassener geworden sei. Bei K1 habe ich mich mit den Lehrern intensiv auseinandergesetzt und auch angelegt, das Ergebnis hat mich nur teilweise befriedigt, denn ich habe gegen das System (v.a. auch an der Schule) nichts ausrichten können, nichts!

 

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. KaLau sagt:

    Danke für diese Worte! Ich freue mich, dass es unter den Bloggenden auch solche gibt, die nicht immer nur die Schuld bei Schule und Lehrern sehen und alles (gern auch vor dem eigenen Kind) schlecht reden.
    Ich bin selbst Grundschullehrerin und erlebe es oft, dass ich bzw. wir Schul trage(n) an den Problemen von Kindern mit der Schule. Aber wie Sie auch schreiben, gibt es dafür sicher viele Ursachen: gute und natürlich auch weniger gute Lehrer, wenig bi schlecht erzogene Schüler, Unterrichtsausfall oder Vertretungen, Mitschüler… ABer das alles darf man auch getrost mal als Vorbereitung auf das „echte“ leben sehen! Nicht jeder Chef, den wir später mal haben, wird verständnis- und rücksichtsvoll sein, nicht jeder Kollege muss gleich auch mein freund sein. So ist das nun mal eben. Und so geht es auch mit der Schule. Wir alle tragen Erinnerungen an tolle und furchtbare Lehrer in uns, an beliebte und unbeliebte Mitschüler, an spannende und langweilige Unterrichtsstunden. Und das wird auch immer so bleiben – unabhängig vom Schulsystem, der Unterrichtsmethode oder allen anderen Faktoren!
    So. Das musste auch mal raus.
    Ka [Prima(r)blog]

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    1. mrscgn sagt:

      Dankeschön für den Kommentar.
      Ich habe mich hier in meinem Blog durchaus schon sehr kritisch zu Lehrern geäußert und erlebe leider im Umfeld meiner Kinder eine sehr große Bandbreite an Lehrern. Doch gerade weil ich den Vergleich von Grund- zur weiterführenden Schule jetzt habe, und weil ich weiß, was die eigene Einstellung beim Kind auslösen kann, berichte ich gerne davon, dass ich das inzwischen noch stärker differenziert sehen möchte.
      Es muss (und kann) einfach nicht alles perfekt sein – auch wenn es um die eigenen Kinder geht. Ich sehe mich als Mutter schon auch in der Verantwortung, das Schulleben der Kinder positiv zu begleiten. Ich wünsche mir dabei nur, dass mich (dass uns) die Lehrer das auch machen lassen, dass sie uns Eltern mitnehmen, uns als Eltern sehen.

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  2. Suse sagt:

    Ich denke auch, daß die tollste und beste Schule nichts bringt, wenn die Lehrer einfach nicht mit dem „Arbeitsmaterial“ Kind umzugehen wissen.
    Andersherum: Es braucht einen kompetenten Lehrer. Dann haben alle Kinder eine Chance.
    Aber meine Erinnerungen projeziere ich nicht auf meine Kinder, denn sie sind so unterschiedlich wie sie nur sein können und die beiden schulkinder erleben die selbe Schule extrem unterschiedlich.

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